Bilder Psychomotorik

Antwort von Michael Passolt

zur Antwort von Jürgen Seewald

Lieber Jürgen,

herzlichen Dank für Deine mail. Inzwischen habe ich ja noch ein weiteres Anschreiben von Dir erhalten und so möchte ich gerne im Zusammenhang antworten.

Unsere begonnene Auseinandersetzung möchte ich mit diesem Schreiben beenden. Gründe dafür sind:

1. Ich bin in meiner Antwort auf Deinen Artikel davon ausgegangen, mit Dir in einen gleichberechtigten Meinungsaustausch zu treten. Diesen kann ich bei Dir nicht erkennen. Du bleibst in Deiner belehrenden und dozierenden Rolle: „Nun hast Du…was sicher sehr unüblich ist…Du vermischst…eine Grundregel…ich verweise… stehen sollte…halten musst…“ Herzlichen Dank für Deine Zurechtweisung. Herzlichen Dank für Deinen hoch erhobenen Zeigefinger. Herzlichen Dank, erst einmal klar zu machen, wer hier welche Regeln beherzigen muss, um in ein Gespräch mit Dir kommen zu dürfen. Auf dieser Ebene möchte ich nicht in den Austausch mit Dir treten. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Es ging und geht mir vielmehr um das gemeinsame Anliegen unserer Psychomotorik. Es geht mir um den Austausch bei gegenseitiger Wertschätzung. Nur von dieser Ebene aus können wir voneinander lernen. Das ist Streitkultur. Von einer Ebene des Vorgebens, der Zurechtweisungen und der Beschämung kann es keinen gleichberechtigten Austausch geben. Ich hätte gerne diskutiert, wie Psychomotorik gelebt werden kann, wie wir unsere Praxis mit dem Herzen vermehren und wie wir uns gemeinsam und gleichberechtigt austauschen können. Ich kann es bei Dir weder lesen, noch spüren.

Dein Anliegen ist die Wissenschaft. Mein Anliegen ist, über Fragen die Praxis zu entwickeln. Dein Ansatz-Artikel macht Dein Verständnis deutlich. Mein Anliegen ist a) Deinen Artikel inhaltlich zu kritisieren und b) Fragen zum Verständnis von Psychomotorik zu entwickeln. Diese Fragen könnten von Dir auch in einem Artikel veröffentlicht werden. Ich merke, dass wir dazu keinen Austausch brauchen. Du schreibst es auch: „Wir bewegen uns in verschiedenen Diskurswelten“. Wir reden aneinander vorbei. Wenn Du auf der wissenschaftlichen Ebene verbleibst, dann bitte bleibe auf der wissenschaftlichen Ebene. Wenn Du aber auf die psychomotorische Praxisebene gehen möchtest (und Deine Literaturdiskussion zeigt, dass das nicht gerade eine Stärke von Dir ist), dann wirkt das belehrend. Dann kann es sein, dass Du vielen Praktikern einfach die Lust nimmst, mit Dir ins Gespräch kommen zu wollen. Mir z.B. geht es so, und ich glaube, Rupert Schoch denkt ebenso.

Du willst die Regeln aufstellen, um Macht zu entwickeln, und dazu gehört auch Definitionsmacht. Du stellst die Regeln auf, mit welchem Habitus wer in den wissenschaftlichen Diskurs eintreten kann. Punkt. Und wer sich diesen Ordnungsrufen nicht anpasst, der erhält dann von Dir noch gratis eine Belehrung dazu: „…nur sollte man dann nicht klagen, wenn man im wissenschaftlichen Diskurs nicht oder nicht genug zur Kenntnis genommen wird.“ Wer immer dies lesen soll, für mich kann ich sagen: Ich klage nicht, im Gegenteil. Ich hätte ja auch meine Promotion schreiben können (dann evtl. auch wissenschaftlich an der Uni bleiben können), wäre heute dann als Motologe wahrscheinlich weiterhin im Dozententeam der AKM und Du würdest meine Artikel und Bücher dann immer lesen und zitieren, ja,…wenn ich dem Lockrufe der Uni gefolgt wäre, ja, Michael, wenn Du Dich an die Regeln hältst…dann darfst Du Dich am Fachdiskurs beteiligen und darfst bei den Sitzungen der ‚Wissenschaftlichen Vereinigung für Psychomotorik und Motologie (WVPM)’ auch mal Schriftführer werden oder auch mal eine Untersuchung vorstellen oder Vorschläge unterbreiten, wer für seine wissenschaftlichen Untersuchungen und Verdienste ein Stipendium ausgelobt bekommt. Jedenfalls wirst Du dann im wissenschaftlichen Diskurs anerkannt. Dann wirst Du zur Kenntnis genommen. Man liest Deine Bücher und Du wirst zitiert. (Dies in der Linearität der Moderne). Nur habe ich mich anders entschieden – und mein psychomotorisches und Leben insgesamt macht mir viel Spaß. Ich liebe den aktuellen Meinungsaustausch mit anderen Disziplinen, den Diskurs mit interessierten KollegInnen, das sich gegenseitige Besuchen von Praxisstunden mit dem diagnostischen Austausch. Spannend ist die Arbeit in der Vielheit von kindlicher Entwicklung, den Themen, die sich aus der Arbeit ergeben, das Nachfragen, der Blick zur Familienarbeit, der Kontakt mit ausländischen KollegInnen. Und besonders auch das Vermitteln dieser Erfahrungen in unseren Ausbildungen am IBP. Dies in einer Schnelligkeit, die Mut macht, auszuprobieren und den vielen Möglichkeiten, Praxis zu kreieren, auch sich und seine Arbeit ständig über wertschätzende Rückmeldungen in Frage zu stellen. Ich bin diesen gleichberechtigten Austausch gewohnt und möchte einfach nicht bevormundet werden.

2. Es sind einmal die unterschiedlichen Ebenen, von denen aus wir diskutieren, andererseits aber auch die inhaltlichen Sichtweisen, aus denen wir so unsere Argumente entwickeln. Zu meiner Position: ich versuche die großen Vorteile der Postmoderne –bei aller Janusköpfigkeit- zu nutzen. Du verstehst Dich als ein Kind der Moderne: „Für mich lautet die Frage deshalb: Wie kann sich die Wertebasis der Moderne durch die Konfrontation mit der Postmoderne reformieren und fortschreiben... ich möchte z. B. das Instrument der Analyse und der Kritik nicht opfern, beides Kinder der Moderne.“ Einmal abgesehen davon, dass auch in der Postmoderne die Analyse und Kritik einen hohen Stellenwert hat, hatte ich Deinen Vortrag in Frankfurt auf dem Kongress der MotopädInnen interessiert verfolgt. Dort habe ich ein deutliches Gefühl bei Dir gespürt, dass Du Angst entwickelst – dass es keine Eindeutigkeiten mehr zu vermitteln gibt, dass Du durch das Chaos von Kreativität nicht mehr durchblicken und ordnen kannst, dass sich alles verbindet und verwischt, was eben noch seine Gültigkeit hatte. Es ist die Angst der Moderne vor der Postmoderne, die mit Vieldeutigkeiten verbunden ist. Es gibt keine Wahrheit mehr, nur noch individuelle Wahrheiten. Wenn das so ist, kann auch nicht mehr doziert werden, was falsch und was richtig ist, was gut und schlecht ist. Dann gibt es aber auch keine Theorie von Ansätzen, denn die gibt es in Reinform in der Postmoderne kaum mehr, wie die Postmoderne sich dadurch selbst auch in Frage stellt (das hatte ich in Deiner Antwort, ehrlich gesagt, nicht verstanden). Deshalb ist Dein Ansatz-Artikel für mich schon im Ansatz fragwürdig und überholt. Eben ein Ansatz für moderne Denkweisen und nicht für die Arbeit in postmodernen Denkweisen. Und deshalb hast Du mir auch in meiner ersten Antwort zu meiner Frage zur ‚Subjektiven Anatomie’ keine Antwort geben können, weil es schwer ist, diesen Ansatz einem Fachbereich zu ‚verorten’.

Wie die Moderne, so suchst auch Du mühsam nach Unterscheidungen und Definitionen. Das ist und war die Stärke der Moderne. Die Postmoderne hat einen anderen Blick. Es geht der Postmoderne um die Vielfalt, um eine Freiheit pluriformen Denkens, um eine transversale Vernunft, die nicht mehr in Definitionsgläubigkeit engt sondern weitet. Wir leben in vielen Fällen auch nicht mehr die Wertevorstellungen der Moderne – dann würden wir kaum die Probleme von heute lösen können. Wir unterliegen alle mehr dem berühmten ‚Wertewandel’ -und deshalb kann auch nicht „die Wertebasis der Moderne … reformiert und fort(ge)schrieben“ werden, wie Du forderst- weil sich auch der wirtschaftliche, sozialpolitische und machtorientierte Raum entwickelt. Denke ich an Themen wie Wohlstand, Rollendefinition, Beziehung, Familie, Bildung, Beruf…wird klar, dass wir nicht mehr mit Wertevorstellungen der Moderne leben können, weil wir hier schon ansatzweise nicht den Vorstellungen individueller Freiheiten gerecht werden würden. Individuelle Freiheiten sind janusköpfig, klar, doch bieten sie neben allen Risiken auch individuelle Chancen und Profilierungen. Diese sollten genutzt werden. Der Soziologe A. Etzioni formuliert es so schön: „Wenn man sich zu sehr auf den Staat verlässt, verlieren die Menschen ihr Verantwortungsgefühl.“ Ich bin also nicht der Oberflächenmagie der Postmoderne ausgeliefert, sondern vertraue einer Sichtweise ‚von unten’. Es ist die Verantwortung, sich zu trauen, sich nicht abhängig zu machen und die Verantwortlichkeit an der Türe oder an andere Personen abzugeben. Und ich gebe der Ideologie der Postmoderne auch nicht den Glauben, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse abzusichern, sondern traue eher den Worten von Heinz von Foerster: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“. So bin ich in der Postmoderne den individuellen Wahrheiten auf der Spur und beziehe mich damit natürlich mit ein, dass auch meine Wahrheit subjektiv ist. Darüber kann man diskutieren. Für mich ist die Überlegung der Postmoderne eher eine wundervolle Möglichkeit, sich zu trauen und den Reden ‚von oben’ -auch aus der Universität, so auch von Dir- nicht hörig zu sein, sondern kritisch zu hinterfragen. Weil von dort auch viele ‚Wahrheiten’ kommen. Und so besteht die Chance, mit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, auch Deinen Artikel als Hochschullehrer kräftig zu kritisieren und mit guten Gründen abzulehnen. Ablehnungen können sachlich sein (wie ich es versucht habe), auch ironisch und sachlich zugleich, wie Rupert Schoch das so schön getan hat. Es geht nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch. Es geht um subjektive Möglichkeiten –ohne persönlich verletzend zu  sein-  sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Das muss man respektieren. Und Ironie und Satire sind Wege, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, wie es weitere andere Wege gibt. Rupert Schoch hat sich bemüht, mit Dir in den Austausch zu gehen. Er hat sich Zeit genommen, einen neuen, weiteren Blick auf ein Thema zu legen. In seiner erfrischenden Form der Auseinandersetzung, zuerst ironisch, dann auch sachlich: "Spaß beiseite, wohin sollen sich Ansätze denn weiterentwickeln?" Seine Art macht ihn stark. Du fühlst Dich persönlich be-  und in Deiner wissenschaftlichen Ehre getroffen – und das zeigt Deine Sichtweise, nicht den Blick auf andere Möglichkeiten als die der wissenschaftlichen Analyse zu richten. Und hier kommen wir einfach nicht weiter. Mit Deiner Art, so –und nur so- zu denken, kannst Du mit Rupert und mir gar nicht in den Kontakt kommen, kannst Du uns gar nicht die Möglichkeit geben, etwas zu dem Thema zu sagen und so Diskurs zu entwickeln. Du gibst nur Deine Wahrheitsfindung vor. Du gibst weder uns, noch Dir, eine Chance. Und so lebt Deine Diskursebene nur von Deiner Sichtweise. Schade.

Postmoderne liebt die Offenheit und die vielen Wege. Es ist die Suche nach Neuem, die Suche nach neuen Sichtweisen, dem Entwickeln von neuen Blicken. Auf das Alte schauen – und dem Neuen den Blick nicht verwehren. Das kann natürlich verunsichern und Angst machen, so wie ich Dich in Frankfurt gespürt habe, da verstehe ich Deine Haltung, doch es enthält auch große Chancen.

3. Grundsätzlich: mich stört nicht das wissenschaftliches Arbeiten, ganz im Gegenteil, mich stört aber, dass Du von der Theorieebene den Praktikern das Arbeiten vorschreiben willst, quasi das alte moderne Modell unterlegst: ‚Ich bin von der Uni. Wir wissen Bescheid. Richtet Euch nach uns!’ Uns damit die Mündigkeit zu versagen. Ich glaube, dass Du wenig weißt, was sich an der psychomotorischen Basis wirklich ab-spielt (im wahrsten Sinne des Wortes), wie wir unsere psychomotorische Praxis nicht nur denken, sondern wie wir sie auch handelnd in der Praxis leben und vermitteln. Wie wir diagnostisch arbeiten und unsere Stunden auswerten. Über was wir uns Gedanken machen, wie wir Psychomotorik weiter fortschreiben können und wie wir uns vernetzen. Dann klingt es wie ein Hohn, bei Dir zu lesen: „Allerdings sind wir (an der Uni, M.P.) gehalten, die Praxis stärker zu reflektieren als es der Praktiker tut bzw. tun muss – und dazu sind die Ansätze unverzichtbar“ Welch ein alter (moderner) und überholter Denkansatz! Das ist inhaltlich das eine, das andere, ich glaube, Du weißt gar nicht, was Du mit solch einem Satz auslöst. Heißt das, dass wir Praktiker gar nicht denken, weil wir Praktiker sind? Oder bestehen wir Praktiker (Vereine, Institute etc.) nur deshalb in der Praxis, weil wir dauernd reflektieren müssen, wie wir am Markt überleben können und deshalb keine Zeit haben, unsere psychomotorische Praxis zu reflektieren? Du reflektierst aus dem Elfenbeinturm der Motologie über die Praktiker, immer schön wissenschaftlich fragend (…nach welchen Ansätzen wird hier gerade gearbeitet…), tja, und dann dürfen sich die Praktiker freuen, dass sie dann doch irgendwie gehört werden, wie der Ruf erschallt… „die Wissenschaft kümmert sich um Euch!“ Und wir müssen nun in der Praxis schauen, von Dir erfahren „wo wir nichts oder nur wenig erfahren…“ - dabei gibt es aber schon lange eine gute und reflektierte Erfahrungsarbeit.

Ich glaube, die Praktiker sind mündig geworden, weil sie sich von den Überlegungen der Moderne gelöst haben und sie gehen dadurch in der Psychomotorik voran, weil sie mit Selbstbewusstsein sich ihrer Erfahrungen bewusst geworden sind. Sie trotzen den Ratschlägen ‚von oben’, auch von der Uni, sie trauen ihrer Selbstwirksamkeit und ihren Erfahrungen. Das ist wie in der Motodiagnostik, sich den motorischen Tests wie KTK zu verweigern, weil wir (auch Dank D.Eggert) an unsere Stärke glauben, wir unsere eigenen Menues entwickeln und auch Diagnostik gestalten können. Weil wir merken, was wir können. Weil wir den großen Reden keinen Glauben mehr schenken, die früher so funkelten. Der Glanz der Vorredner –auch der der Motologie – scheint immer mehr zu verblassen, denn das Zeitalter der großen Reden ist vorbei. Dafür ist Dein Ansatz-Artikel ein wunderschönes Beispiel.

4. Du redest seit Deiner letzten mail an mich schon jetzt  von neuen wissenschaftlichen Debatten: „die Streitkultur zu thematisieren…(und in eine) Professionalisierungsdiskussion“ zu stellen. Wer immer dies dann lesen möchte, ich glaube, es ist nicht das, was an der Basis von Psychomotorik Interesse und Lesebereitschaft findet. Es scheint dann eher wieder eine abgehobene Diskussion (wie die zu den Ansätzen) zu werden, eher ein Ablenkungsmanöver, statt sich den Sorgen der psychomotorischen Basis zu widmen. Die psychomotorischen Vereine vor Ort warten immer noch auf zentrale Hilfestellungen, wie sie strukturell, finanziell und abrechnungstechnisch überleben können. Auch wäre die Problemdiskussion wichtig, wie die Psychomotorik und unser Tun gemäß der sozialpolitischen Wichtigkeit mehr in der Gesellschaft verankert werden könnte. Da wäre großer Handlungsbedarf. Da könnte die Universität mehr Zeit und Wissenschaftlichkeit anbieten und so unserer Idee weiter helfen. Statt abgehoben zu reflektieren.

In einem Artikel könnten auch mal Themen der Motologie aufgezeigt werden, was die Motologie denn eigentlich will. Steht die Motologie für Motorik, für Wissenschaft und für Psychomotorik? Was und wie vermittelt sie das? Und: was will die Motologie, was die Psychomotorik vielleicht anders möchte? Du benutzt ja wie die ‚Wissenschaftlichen Vereinigung für Psychomotorik und Motologie (WVPM)’ die Unterscheidung und Doppelnennung. Du möchtest den Terminus ‚Motologie’ beibehalten. Nur aus wissenschaftlichen Gründen? Dann hätte die Motologie sich aber neu entwickelt. Dann gehört dazu auch eine inhaltliche Klärung, was die Motologie heute eigentlich will, warum sie sich so entwickelt hat, was sie heute als Lerngegenstand für wichtig hält und wie sie sich vorstellt, wo später MotologInnen überhaupt arbeiten können. Sollten sie auch für die Praxis ausgebildet sein, wo unterscheiden sie sich von MotopädInnen oder ausgebildeten KollegInnen mit ‚Zusatzqualifikation Psychomotorik’. Was sind die Probleme von MotologInnen, was kommt bei der Frage auf sie zu, wenn sie inhaltlich eigentlich Psychomotorik anbieten, uneigentlich sich aber als MotologInnen fühlen sollen und sich so auch noch in der Öffentlichkeit darstellen w/sollen? Und, eine weitere Frage, wie reflektieren sie ihre Praxis und wie entwickeln sie eine Diagnostik? Du hattest in Deinem Artikel die Diagnostik nicht einheitlich benannt, mal „ (prozessbegleitende) Diagnostik“ oder „Prozessdiagnostik“ oder „Klientenspezifik durch spezielle Verfahren (Diagnostik)“ Ich hatte Dich schon einmal gefragt, wie die Diagnostik im Konstrukt ‚Motologie’ eigentlich aussieht? Ist es weiterhin eine (auf die Motorik bezogene) Motodiagnostik oder vielleicht doch eine psychomotorische Diagnostik? Oder was könnte es noch sein? Eine Antwort wäre hilfreich. Solch ein Artikel würde das Interesse des ‚Voneinander-wissen’ entwickeln. Das schafft Interesse.

Weiterhin: Du bestätigst die Schwammigkeit des Begriffes ‚ Motologie’. Von einer Marburger ‚Marke’ zu sprechen ist m.E. nicht klar, denn ist mit Hamm auch die Marke ‚Psychomotorische Übungsbehandlung’ synonym? Es geht mir nicht allein um den Namen, besonders aber um die Inhalte. Es geht für mich um Erkennbarkeit und um einen guten Boden, auf dem man stehen kann. Das ist für mich nicht so klar. Als Vater eines Therapiekindes z.B. würde ich mich ja auch dafür interessieren, ob z.B. ein Motologe nach der PMÜ oder nach einer (?) Motologie oder als Motopäde/in oder als Motopädagoge/in oder im Sinne einer Mototherapie (hat er dann auch eine Therapieausbildung gemacht?) oder als Psychomotoriker (wie und wo ausgebildet?)….arbeitet. Was würde ein Motologe denn dem Vater sagen? Und: was bringt es, wenn die Marke ‚Motologie’ beibehalten wird – und die Absolventen vielleicht am internationalen (und auch am sprachlichen) Standard vorbeirasen und eine Zielgruppe suchen und suchen und suchen…? Aber vielleicht liegt das Arbeitsfeld der MotologInnen ja gar nicht auf der Praxisebene? Was ist dann aber ihre Aufgabe in Weiterbildungen?

Und zum Schluß möchte ich Dich noch entlasten: Ich bin ausgebildeter Motologe des ersten Durchganges. Ich möchte Dir Last von Deinen Schultern nehmen und Dich von der Verantwortung befreien, für mich als Motologen aufzupassen.

5. Zum Aspekt der ‚Beziehungsgestaltung’. In der Tat ist Beziehung für mich -neben Raum und Zeit- eine wichtige und letztlich entscheidende psychomotorische Basisdimension. Am IBP ist die dialogische Arbeit die Basis unserer Arbeit (wir nennen es in unserer Ausbildung ‚Im Dialog Beziehung gestalten’). Für mich kommt es nicht auf die vielen Spiele und Materialien und die Raumausstattung und…und…und…an, sondern auf das Beziehungsgeschehen.

Du legst Wert auf ‚den hervorragenden Zugang’ unserer Arbeit, da stimme ich Dir als Praktiker zu, mich würde allerdings schon interessieren, wie Du -ein Mann der Wissenschaft- diesen ‚hervorragenden Zugang’ denn inhaltlich beschreibt. Was meinst Du mit „Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Körperbezug“ (wenn, dann schon Leibbezug!)? Und ich bin dann auch nicht sonderlich erstaunt, wenn Dein Blick nicht so sehr auf das Beziehungsgeschehen gerichtet ist, wenn Du „Spazierengehen oder Eisessen oder sonstige Aktivitäten mit Klienten“ so abwertest. All diese Aktivitäten ermöglichen Beziehung. Und auch wir am IBP gehen z.B. in unseren Ausbildungen öfter mit einer gemeinsamen Fragestellung ‚spazieren’. Warum? Weil wir den Wert des Spazierengehens schon von den Peripatetikern, der alten griechischen Schule, gut kennen. Es geht dabei um Gespräche und Austausch im Gleichklang der Schritte, sich dem Diktat der Geschwindigkeit zu widersetzen, dabei ‚die Gedanken im Austausch und der Bezogenheit fließen’ zu lassen und aus dem Gehen Kraft zu schöpfen. Nicht umsonst gehen Politiker so viel miteinander spazieren. Es geht dabei um die magischen Momente, die Rupert Schoch schon für die Psychomotorik so herzzerreißend und wunderbar beschrieben hat (Praxis der Psychomotorik, 1998, 149ff) – hier die magischen Momente beim Gehen im Aufbruch und im Ankommen: „der Aufbruch zu mehr Gelassenheit und Bewusstheit, das Ankommen bei uns Selbst und der Erkenntnis, dass unser Leben endlich ist“ (Joachim Zischke, 2009). Im Gehen sucht eine entspannte Seele einen gesunden Körper, entsteht sozialer Kontakt. Wer wandert ist be-wandert, entwickelt sich im Fort-Schritt. (Mehr von der Moralität des Gehens, ein Buchtipp: ‚Kollektive Intentionalität (2009), darin: Margret Gilbert: Zusammen spazieren gehen: Ein paradigmatisches soziales Phänomen, Frankfurt am Main: suhrkamp). Und so widerspreche ich Dir und Deinen Sätzen vehement: „Die Ansätze legen eine bestimmte Beziehungsgestaltung nahe. Die Ansätze sind darüber hinaus unverzichtbar für die professionelle Sozialisation und die Sicherheit, mit der ich dem Klienten begegne.“ Nein. In jedem sog. Ansatz, den es heute in der Reinform eines Ansatzes gar nicht geben kann, ist Beziehung vonnöten (auch keine Beziehung ist eine Beziehung). Dort geht der Blick hin.

Abschließend möchte ich Dir danken, dass mir in unserem Austausch richtig klar geworden ist, wie stark wir sind und wie wir uns in unserer Arbeit theoretisch wie praktisch entwickelt haben. Die Moderne sucht durch den Anspruch auf Definitionsmacht die Konkurrenz und die Vermittlung von Wahrheit. Die Postmoderne versteht individuelle Wahrheiten als Möglichkeit zum Austausch, als Kooperationsangebot im Sinne einer transversalen Vernunft. Werte wie Freundschaft, Kooperation, Austausch sind zukunftsträchtiger Gewinn.

Grundsätzlich: Das IBP und ich stehen weiterhin für Miteinander, für Austausch und Diskurs. Wir haben die Psychomotoriklandschaft in Deutschland maßgeblich mitgeprägt. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, dass wir i.A. in Deutschland an einem Punkt angelangt sind, uns die Schilder der Wegkreuzung genau anzusehen. Wohin wir in Zukunft gehen werden, liegt an uns, liegt daran, wie wir uns verständlich machen, was wir wollen und wie wir den anderen nicht nur vorbeigehen lassen sondern einbeziehen. Das wurde m.E. in den letzten Jahren vielfach nicht genug gesehen. Der gemeinsame Weg sollte weiterhin Offenheit heißen. Wir sollten unsere Energie auf unsere gemeinsamen Ziele lenken, die Psychomotorik in Deutschland in der Vielfalt der Themen wie der Vielheit der Verständigung zu nutzen. Das fordert Auseinandersetzung und nicht Konfrontation.

Es wird also weiterhin spannend bleiben in der deutschen Psychomotoriklandschaft. Spannend, wie die Motologie ihren Platz behauptet. Spannend, wie Du zukünftig in der Auseinandersetzung zwischen Moderne und Postmoderne navigieren wirst. Spannend, welchen Weg Du in der Diskussionslandschaft einschlagen wirst,

dazu wünsche ich Dir und Deiner Arbeit viel Kraft, einen guten Weg und alles Gute,

in diesem Sinne herzliche Grüße aus Gröbenzell

Michael

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