Ausblick

Wenn die körperliche und/oder geistige Entwicklung ein selbständiges Leben nicht mehr erlaubt, sondern das Leben in einer Institution erforderlich macht, bedeutet es den Beginn einer Lebensphase, die oft eine hochgradige Gefährdung der Identität und Persönlichkeit beinhaltet. Entwicklung ist hier oft genug nicht mehr Weiterentwicklung, sondern Rückentwicklung. Hier bietet Psychomotorik sowohl die theoretischen Begründungen als auch praktische Handlungsmöglichkeiten, diesen Prozessen  trotz den institutionellen Zwängen  entgegen zu wirken. Psychomotorik überführt sozusagen die theoretischen Kenntnisse in ein ganz konkretes, "handfestes" Förderkonzept.

Hier findet sich ein breites Aufgabenfeld für Motologen und Motopäden  für Psychomotoriker. Das anzustrebende Ziel ist, dass Psychomotorik (wie es schon in dem ursprünglichen Konzept formuliert war), nicht nur Inhalt von einzelnen Bewegungsstunden, sondern Lebensprinzip und Daseinsgestaltung ist.

Die Themen bzw. Bereiche der Motogeragogik waren zunächst einmal gedacht als Strukturrahmen für die präventive und rehabilitative Arbeit der Bewegungsfachleute, die in Einzelstunden außerhalb der "Pflege" agieren. Die weitere Arbeit und die Erprobung in Alten und Pflegeheimen haben jedoch deutlich gezeigt, dass dieses Raster auch den Pflegekräften vielfältige Möglichkeiten bietet, innerhalb ihres Aufgabengebietes positive Anregungen zu geben, jeden einzelnen Bewohner individuell anzusprechen, zu aktivieren, zu fördern. Psychomotorik im Altenheim ist nicht begrenzt auf die Arbeit einzelner Therapeuten, sondern sie muss vielmehr Eingang finden in den Pflegealltag. Und so können die Bewohner ein Stück Selbständigkeit und Handlungskompetenz und damit mehr Zufriedenheit und Lebensmut gewinnen. Sie werden unterstützt in ihrem Bemühen um Erhalt des Personsein, werden bestärkt in ihrem Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung und erfahren wertvolle Hilfestellungen in ihre Suche nach Selbstwirksamkeit und Kontrolle, nach Wohlbefinden und Lebenssinn.
Und so wird es ein Aufgabenfeld für Psychomotoriker sein, neben der konkreten Arbeit in Einrichtungen, teambezogene Fortbildungen zum Thema lebensbegleitender und alltagsgestaltender Psychomotorik zu konzipieren und durchzuführen. Denn nur so kann die Idee der Psychomotorik Eingang finden in den Alltag von Altenheimen.

Zukünftige Aufgabe wird auch sein, dieses Konzept auf die Arbeit mit Menschen mit Demenz zu übertragen. Menschen mit Demenz werden, wie allerorts deutlich formuliert, die Herausforderung der zukünftigen Altenhilfe sein. Die besonderen Bedingungen dieser Zielgruppe machen auch besondere Betreuungskonzepte erforderlich. Neue Pflegetheorien, die Entwicklung einer neuen "Pflegekultur" und die Konzeptionierung neuer Wohn und Lebensformen für die stationäre Unterbringung pflegebedürftiger und verwirrter Menschen entstehen allmählich. Psychomotorik im Sinne von Alltaggestaltung und Lebensbegleitung hat  auf einer ganz konkreten Handlungsebene  hier entscheidendes beizutragen. Das Ziel ist, nicht einzelne Stunden "Psychomotorik" anzubieten, sondern den Alltag so zu gestalten, dass Situationarrangements getroffen werden, in denen sich jeder einzelne das für ihn passende auswählt und für ihn sinnvoll handeln kann (was im Bewußtsein der "vernünftigen Erwachsenen" all zu oft verrückt, verwirrt und sinnlos erscheint).

Damit erfolgt eine Unterstützung des Personseins durch körperbezogene Anregungen auf Grundlage der Förderbereiche der Psychomotorik,
 in tragfähigen sozialen Beziehungen eingebunden in Nähe und Gemeinschaft,
 in einer Umwelt, die zu materialen Erfahrungen und sensomotorischem Handeln geradezu auffordert,
 durch tätiges Handeln: Sinnstiftende Erfahrungen von Autonomie, Selbstwirksamkeit und Kontrolle werden ermöglicht.
Aufgabe der Psychomotorik und des gesamten Teams wird dann sein, individuell und möglicherweise jeden Tag neu diese Arrangements zu planen und jedem einzelnen die größtmögliche, für ihn passende Anregung zu eigenem sinnstiftenden Tätigsein, orientiert an der individuellen Biographie "unauffällig" bereitzustellen. Die Umwelt, das soziale Milieu und tragfähige Beziehungen sind so zu gestalten, das größtmögliche Normalität den Alltag bestimmt. Neben der körperlichen und medizinischen Pflege sollte die "Pflege der Seele" (BÖHM 1999) vordringlichstes Anliegen sein.

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